Es wird eng auf dem Meer

Windräder, vor allem solche, die in großen Offshore-Windparks in die Nord- und Ostsee „gepflanzt“ werden, polarisieren wie kaum eine andere Art der Energiegewinnung. Und das nicht  nur in der Fahrtenseglergemeinde. 

950 Windanlagen stehen derzeit in deutschen Seegewässern. Sie sorgen für ca. zwei Prozent der gesamten deutschen Bruttostromerzeugung – ein „Klacks“, verglichen mit den etwas mehr als zehn Prozent, die an Land per Windkraft erzeugt werden. 

Dabei arbeiten die Anlagen auf See effizienter und liefern pro Windrad übers Jahr deutlich mehr Strom als die „Kollegen“ an Land. Schließlich weht es auf See im Jahresmittel kräftiger und länger.

Das Problem mit den Offshore-Windrädern: Nein, nicht protestierende Fahrtensegler, sondern ein wenig wirtschaftliches Kosten-Leistungs-Verhältnis. Vor dem Aufrichten eines Windrades auf See muss der Meeresboden aufwändig untersucht und tragende Stahlrohre in den Boden gerammt werden.

Folgt das teure, weil extrem aufwändige Aufrichten des Turms und das Anbringen des Rotors mit Hilfe riesiger Schwimmkräne. Und wenn Neptun das so will, dann gibt es schon mal mehrtägige  Unterbrechungen der im Minutentakt abgerechneten, sündhaft teuren Aufbauarbeiten aufgrund von Sturm, hoher See oder gleich beidem. 

Däne hält 700 Patente

Der dänische Techniker, Erfinder, Tüftler und Windkraft-Pionier Henrik Stiesdal will das nun grundlegend ändern. Mit einem standardisierten Verfahren möchte er Windräder bereits im Hafen respektive an Land zusammenbauen, dieselben zum Standort auf See schleppen lassen, dort aufrichten und dann verankern. Der Clou: Die Windräder sollen schwimmen und nicht in den Meeresboden gerammt werden. 

Ähnlich wie beim Bauverfahren der Windräder zu Land, sollen die zukünftigen Offshore-Windräder nach den Vorstellungen von Stiesdal vor allem durch eine Art Massenproduktion wirtschaftlicher hergestellt werden. Doch die eigentliche Verbesserung sieht der Windenergie-Pionier – der 59-Jährige hält sage und schreibe 700 Patente zum Thema Windenergie – in einer radikalen Verbesserung des Schwimmkörpers. 

Denn erste, relativ aufwändig produzierte und im Vergleich kaum zukunftsfähige, weil zu teure schwimmende Windräder gibt es bereits. So schwimmt derzeit vor der norwegischen Küste ein Windrad, das auf einem 80 Meter tiefen und 14 Meter dicken Schwimmkörper respektive -boje aus Stahl thront. Diese Konstruktion wurde bei Stiesdal in Auftrag gegeben und von ihm auch errichtet. Er betrachtet das Gebilde jedoch als zu aufwändig für die Zukunft.

Auch die „japanische Lösung“ kommt für den dänischen Tüftler nicht in Frage: Vor Fukushima schwimmt längst ein gigantische Windrad, das auf eine riesigen Dreiecks-Plattform gesetzt wurde. 

Stiesdal setzt in seinem Projekt auf eine Art Tetraeder, der aus wenigen Stahlrohren zusammengesetzt und verschraubt wird. Aufschwimmende Stabilität soll mit mehreren Bojen aus Stahl erreicht werden. Ist das Windrad erstmal am Einsatzort auf See, wird ein Kiel herabgelassen, an dem wiederum Stahlseile zur Befestigung des Windrades im Meeresboden verankert werden.

Führende Unternehmen und Forschungseinrichtungen in der Windenergie-Branche, wie etwa Siemens und das Fraunhofer Institut, halten Stiesdals Projekt für besonders zukunftsweisend. Vor allem der wirtschaftliche Aspekt, der sich in Produktionen mit hohen Stückzahlen buchstäblich auszahlen wird, machen die schwimmenden Windräder für die mittelfristige Zukunft interessant.

Erste Offshore-Windparks nach dem Stiesdal’schen Prinzip sollen immerhin schon 2022 schwimmen und Energie liefern. Stiesdal will seine zukünftigen Windkraftanlagen auf See nicht als regionales Projekt für die Nord- und Ostsee, sondern als globales Projekt verstanden wissen. 

Wirtschaftlich effizienter

Schwimmende Windräder könnten einmal einen großen Teil des weltweiten Energiebedarfs decken, macht Stiesdal klar. „Aber das gelingt nur, wenn die Kosten rapide gesenkt werden. Und genau dies ist mit meinem Projekt problemlos möglich!“ Derzeit kostet eine kW/h Strom aus fest verankerten Offshore-Windrädern ca. 10 Cent – Stiesdal sieht „seinen“ Preis bei ca. 5 Cent. Was wiederum auf dem (derzeitigen) Niveau von Gas und (je nach Abbau-Region) Kohle wäre. „Schwimmende Windräder haben ein riesiges Potential,“ schwärmt Stiesdal weiter von seiner Idee. „Sie müssen nur kosteneffizient gebaut und standardisiert werden!“ 

Was wiederum im Umkehrschluss bedeutet: Es könnte, ja es wird in gar nicht so ferner Zukunft mehr und mehr Windkraftanlagen auf See geben. Vor allem die pazifischen Küsten zeichnen sich oft dadurch aus, dass sie viel zu steil abfallen, um davor Windparks nach herkömmlicher Weise aufzustellen. Und auch vor Norwegen und vor den britischen Küsten gibt es dieses Problem. 

Werden die Segler also in Zukunft verstärkt „Slalom um die Windkrafträder“ fahren müssen? Werden durch Windparks ganze Segelreviere tabuisiert? Oder wird es – trotz vieler Proteste im Vorfeld und reichlich Unkerei bei den Seglern – wie bisher in der Nord- und Ostsee ein friedliches Miteinander geben zwischen Wind-Wassersportlern und Energiegewinnung durch Wind?

Zum Artikel auf segelreportder.com


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